Einige Anmerkungen
Die 1848er Revolution in Schaumburg-Lippe hat keinen guten Ruf.(1) Sie sei “vertagt” worden, heißt es in einer neueren Darstellung.(2) Aber stimmt das eigentlich? Gewiß, wichtige Forderungen des März 1848, wie die nach einer Verfassung und eine Zivilliste wurden nicht erfüllt, im Oktober 1849 traten die liberalen Regierungsmitglieder zurück, im Januar 1850 wurde der noch tagende ständische Ausschuss von der Regierung stillgelegt. Aber betrachten wir die Dinge von einer anderen Seite:
Zum einen: Die Entscheidungen über das Gelingen der Revolution wurden woanders getroffen, nicht in Hannover, Kassel, München oder Frankfurt/M, sondern in Berlin und in Wien. Als sich dort die Reaktion im Laufe des Jahres 1849 durchsetzte, gab es andernorts keine Chance auf demokratische Entwicklungen. Erst recht in Bückeburg.
Dann muss man die Rahmenbedingungen eines Kleinstaates betrachten, der kein großes, differenziertes und selbstbewußtes Bürgertum hatte, keine eigene Presse (1848/49 musste man das in Rinteln erscheinende Wochenblatt lesen, um über schaumburg-lippische Vorgänge informiert zu sein). Die Rahmenbedingungen konnte kaum ungünstiger sein.
Berücksichtigt man diese beiden Aspekte, so stellt man erstaunt fest, dass das, was hier diskutiert und teilweise umgesetzt wurde, durchaus beachtlich war.
Am 12. März 1848 wurde gefordert:
Allgemein: Preßfreiheit, Versammlungsrecht, Reform Gerichtswesen, volkstümliches Parlament beim Deutschen Bund, allgemeines Deutsches Gesetzbuch
Für Schaumburg-Lippe
Öffentlichkeit der ständischen Versammlungen, Publikation Landtagsprotokolle
Dreijährige Wahlen, Erweiterung aktives und passives Wahlrecht
Nur ein Vertreter der Ritterschaft,
Erweiterte Rechte der Ständeversammlung
Befreiung des Bauernstandes von allen Beschränkungen, Aufhebung des Heimfallsrechts, Dienstablösungsgesetz
Landeskasse
Vereidigung der Beamten auf die Verfassung (!)
Gleiche Steuerpflicht für alle
eine Gemeindeordnung (3)
Einige der Forderungen wurden vom Landesherrn schon wenige Tage später erfüllt:
Das Heimfallsrecht wurde aufgehoben, gleichfalls die Zensur und die Versammlungsfreiheit wurde ermöglicht. Zudem erschien eine Verordnung über die “Weiterbildung des ständischen Instituts”. Es sah erweiterte Rechte der Landstände vor, eine direkte Wahl der Abgeordneten (statt bisher eine indirekte), die dann auch nicht lebenslänglich, sondern für drei Jahre gewählt werden sollten. Jeder Bürger und Hofbesitzer über 25 Jahre durfte nun wählen. Die Ritterschaft war nur noch mit einem statt fünf Vertretern im Landtag, die beiden Städte mit insgesamt vier, die Flecken mit zwei, die Ämter hatten dagegen 13 Vertreter, womit das flache Land das Übergewicht hatte. Gewählt werden konnte jeder Wahlberechtigte des ganzen Landes, so daß auch in den Ämtern bürgerliche Kandidaten gewählt werden konnten.
Im April wurde ein neuer Landtag nach der neuen Verordnung gewählt, die Wahlbeteiligung erreichte in den beiden kleinen Ämtern Hagenburg und Arensburg immerhin 70 %. Im Juli trat dieser Landtag zusammen und beriet eine Reihe von Gesetzen, allerdings unter Verzicht auf eine neue Verfassung. Hier begann das eigentliche Dilemma, denn die von diesem Landtag, der im November und Dezember 1848 noch einmal zusammentrat, realisierten Gesetze blieben weit hinter den Erwartungen vom März zurück. Nicht nur die Verfassung blieb eine unerfüllte Hoffnung, sondern auch die Zivilliste und selbst das dringend notwendige Ablösungsgesetz für die Dienste wurde nicht realisiert.
Realisiert wurden u.a. folgende Gesetze:
1.8.1848 Heranziehung des bisher befreiten Grundbesitzes zur Kontribution,
29.8.1848 unentgeltliche Aufhebung der Jagddienste,
5.12.1848 Unabhängigkeit der politischen Rechte vom religiösen Bekenntnis (erst jetzt waren die jüdischen Mitbürger den christlichen gleichgestellt),
6.12.1848 ein neues Wahlgesetz,
8.12.1848 Aufhebung des Äußerungsverfahrens,
2.1.1849 Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder,
23.1.1849 Gesetz über die Schulzucht,
31.1.1849 Aufhebung des Tabaksgeldes.
Derweil organisierte sich im Land eine neue Öffentlichkeit in Form von Volksversammlungen, aus denen u.a. ein Volksverein hervorging. Dessen Programm bestand aus drei Punkten:
1. „Aufrichtige Hingebung an das Werk der Einigung und Kräftigung Deutschlands, möglichste Unterstützung der Wirksamkeit der National-Versammlung, willige Anerkennung ihrer Beschlüsse, Anstreben und Festhalten der demokratisch-konstitutionellen Monarchie für den deutschen Gesamtstaat sowohl wie für die Einzelstaaten (…)“
2. „Für die besonderen Verhältnisse des hiesigen Landes kommt noch hinzu die für eine gedeihliche Staatswirthschaft unerläßliche genaue Sonderung des Staatsvermögens von dem Vermögen des Fürstlichen Hauses (…)“
3. „Der Zweck des Volksvereins ist, durch Besprechung und Belehrung über die all-gemeinen deutschen und die besonderen Angelegenheiten unseres Fürstentums, nötigenfalls durch Eingaben (…) dahin zu wirken, daß jeder Zeit dem Gesetze von allen Seiten die höchste Achtung werde.“
1849 erlahmte die Reformtätigkeit in Schaumburg-Lippe. Zwar fand Anfang März die Neuwahl eines neuen Landtags statt, aber dieser trat erst im September zusammen. Schon einen Monat später traten die liberalen Regierungsmitglieder Bömers, König und Capaun-Karolowa zurück. Zwar gab es im Winter noch einmal den Versuch, eine Verfassung zu initiieren, aber dieser blieb in der Gegenrevolution regelrecht stecken. Anfang 1850 musste der landständische Ausschuss seine Arbeit beenden.
Hier gibt es allerdings auch zu bedenken, dass in den Metropolen Berlin und Wien schon längst die Revolution gescheitert war. Da war Schaumburg-Lippe eher ein “Nachzügler”. Gravierender aber war, dass bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes nach 1850 hier kein Landtag mehr zusammentrat. 1850 begann in Schaumburg-Lippe eine eisige Zeit der Reaktion. Als 1868 ein neuer Landtag gewählt wurde, hatte dieser nichts mehr mit dem Landtag von 1848 zu tun. Er war rein ständisch organisiert.
Das Fürstenhaus, das 1848 kurz vor der Einführung der Zivilliste gestanden hatte (und damit vor einem Offenbarungseid) zeigte jetzt deutlich, wer in Schaumburg-Lippe politisch das Sagen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Literatur
Zitierte Literatur
(1) Bethmann, Anke: Revolutionsrezeption und -gestaltung in Schaumburg : politische Öffentlichkeit als Indikator des Demokratisierungsprozesses ; 1789 und 1848: Das Bürgertum betritt die politische Bühne, in: Höing, Hubert (Hg.): Vom Ständestaat zur freiheitlich-demokratischen Republik, 1995, S. 79–105.
(2) Rügge, Nicolas: 1848: die vertagte Revolution in Schaumburg, in: Brüdermann, Stefan (Hg.): Entscheidungsjahre in Schaumburg, Göttingen 2020, S. 37–61.
(3) Lathwesen, Heinrich: Der Schaumburg-Lippische Landtag und seine Abgeordneten, Bückeburg 1974.
Weitere Titel:
Meyer, Stefan: Georg Wilhelm Fürst zu Schaumburg-Lippe (1784 - 1860): absolutistischer Monarch und Großunternehmer an der Schwelle zum Industriezeitalter, Bd. 65, Bielefeld 2007 (Schaumburger Studien).
Poschmann, Brigitte: Politische Strömungen in Schaumburg-Lippe von der 48er Revolution bis zum Ende der Monarchie, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 52, 1981, S. 107–138.
Schneider, Karl Heinz: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse und die Agrarreformen in Schaumburg-Lippe im 18. und 19. Jahrhundert, Bd. 44, Rinteln 1983 (Schaumburger Studien).
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