Dienstag, 21. November 2023

1848 in Schaumburg-Lippe

Einige Anmerkungen

Die 1848er Revolution in Schaumburg-Lippe hat keinen guten Ruf.(1) Sie sei “vertagt” worden, heißt es in einer neueren Darstellung.(2) Aber stimmt das eigentlich? Gewiß, wichtige Forderungen des März 1848, wie die nach einer Verfassung und eine Zivilliste wurden nicht erfüllt, im Oktober 1849 traten die liberalen Regierungsmitglieder zurück, im Januar 1850 wurde der noch tagende ständische Ausschuss von der Regierung stillgelegt. Aber betrachten wir die Dinge von einer anderen Seite: 

Zum einen: Die Entscheidungen über das Gelingen der Revolution wurden woanders getroffen, nicht in Hannover, Kassel, München oder Frankfurt/M, sondern in Berlin und in Wien. Als sich dort die Reaktion im Laufe des Jahres 1849 durchsetzte, gab es andernorts keine Chance auf demokratische Entwicklungen. Erst recht in Bückeburg.

Dann muss man die Rahmenbedingungen eines Kleinstaates betrachten, der kein großes, differenziertes und selbstbewußtes Bürgertum hatte, keine eigene Presse (1848/49 musste man das in Rinteln erscheinende Wochenblatt lesen, um über schaumburg-lippische Vorgänge informiert zu sein). Die Rahmenbedingungen konnte kaum ungünstiger sein. 

Berücksichtigt man diese beiden Aspekte, so stellt man erstaunt fest, dass das, was hier diskutiert und teilweise umgesetzt wurde, durchaus beachtlich war.

Am 12. März 1848 wurde gefordert:

  • Allgemein: Preßfreiheit, Versammlungsrecht, Reform Gerichtswesen, volkstümliches Parlament beim Deutschen Bund, allgemeines Deutsches Gesetzbuch

  • Für Schaumburg-Lippe

    • Öffentlichkeit der ständischen Versammlungen, Publikation Landtagsprotokolle

    • Dreijährige Wahlen, Erweiterung aktives und passives Wahlrecht

    • Nur ein Vertreter der Ritterschaft, 

    • Erweiterte Rechte der Ständeversammlung

    • Befreiung des Bauernstandes von allen Beschränkungen, Aufhebung des Heimfallsrechts, Dienstablösungsgesetz

    • Landeskasse

    • Vereidigung der Beamten auf die Verfassung (!)

    • Gleiche Steuerpflicht für alle

    • eine Gemeindeordnung (3)

Einige der Forderungen wurden vom Landesherrn schon wenige Tage später erfüllt:

Das Heimfallsrecht wurde aufgehoben, gleichfalls die Zensur und die Versammlungsfreiheit wurde ermöglicht. Zudem erschien eine Verordnung über die “Weiterbildung des ständischen Instituts”. Es sah erweiterte Rechte der Landstände vor, eine direkte Wahl der Abgeordneten (statt bisher eine indirekte), die dann auch nicht lebenslänglich, sondern für drei Jahre gewählt werden sollten. Jeder Bürger und Hofbesitzer über 25 Jahre durfte nun wählen. Die Ritterschaft war nur noch mit einem statt fünf Vertretern im Landtag, die beiden Städte mit insgesamt vier, die Flecken mit zwei, die Ämter hatten dagegen 13 Vertreter, womit das flache Land das Übergewicht hatte. Gewählt werden konnte jeder Wahlberechtigte des ganzen Landes, so daß auch in den Ämtern bürgerliche Kandidaten gewählt werden konnten.

Im April wurde ein neuer Landtag nach der neuen Verordnung gewählt, die Wahlbeteiligung erreichte in den beiden kleinen Ämtern Hagenburg und Arensburg immerhin 70 %. Im Juli trat dieser Landtag zusammen und beriet eine Reihe von Gesetzen, allerdings unter Verzicht auf eine neue Verfassung. Hier begann das eigentliche Dilemma, denn die von diesem Landtag, der im November und Dezember 1848 noch einmal zusammentrat, realisierten Gesetze blieben weit hinter den Erwartungen vom März zurück. Nicht nur die Verfassung blieb eine unerfüllte Hoffnung, sondern auch die Zivilliste und selbst das dringend notwendige Ablösungsgesetz für die Dienste wurde nicht realisiert.

Realisiert wurden u.a. folgende Gesetze:

1.8.1848 Heranziehung des bisher befreiten Grundbesitzes zur Kontribution,

29.8.1848 unentgeltliche Aufhebung der Jagddienste, 

5.12.1848 Unabhängigkeit der politischen Rechte vom religiösen Bekenntnis (erst jetzt waren die jüdischen Mitbürger den christlichen gleichgestellt),

6.12.1848 ein neues Wahlgesetz,

8.12.1848 Aufhebung des Äußerungsverfahrens, 

2.1.1849 Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder, 

23.1.1849 Gesetz über die Schulzucht, 

31.1.1849 Aufhebung des Tabaksgeldes.

Derweil organisierte sich im Land eine neue Öffentlichkeit in Form von Volksversammlungen, aus denen u.a. ein Volksverein hervorging. Dessen Programm bestand aus drei Punkten:

1. „Aufrichtige Hingebung an das Werk der Einigung und Kräftigung Deutschlands, möglichste Unterstützung der Wirksamkeit der National-Versammlung, willige Anerkennung ihrer Beschlüsse, Anstreben und Festhalten der demokratisch-konstitutionellen Monarchie für den deutschen Gesamtstaat sowohl wie für die Einzelstaaten (…)“

2. „Für die besonderen Verhältnisse des hiesigen Landes kommt noch hinzu die für eine gedeihliche Staatswirthschaft unerläßliche genaue Sonderung des Staatsvermögens von dem Vermögen des Fürstlichen Hauses (…)“

3. „Der Zweck des Volksvereins ist, durch Besprechung und Belehrung über die all-gemeinen deutschen und die besonderen Angelegenheiten unseres Fürstentums, nötigenfalls durch Eingaben (…) dahin zu wirken, daß jeder Zeit dem Gesetze von allen Seiten die höchste Achtung werde.“

1849 erlahmte die Reformtätigkeit in Schaumburg-Lippe. Zwar fand Anfang März die Neuwahl eines neuen Landtags statt, aber dieser trat erst im September zusammen. Schon einen Monat später traten die liberalen Regierungsmitglieder Bömers, König und Capaun-Karolowa zurück. Zwar gab es im Winter noch einmal den Versuch, eine Verfassung zu initiieren, aber dieser blieb in der Gegenrevolution regelrecht stecken. Anfang 1850 musste der landständische Ausschuss seine Arbeit beenden. 

Hier gibt es allerdings auch zu bedenken, dass in den Metropolen Berlin und Wien schon längst die Revolution gescheitert war. Da war Schaumburg-Lippe eher ein “Nachzügler”. Gravierender aber war, dass bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes nach 1850 hier kein Landtag mehr zusammentrat. 1850 begann in Schaumburg-Lippe eine eisige Zeit der Reaktion. Als 1868 ein neuer Landtag gewählt wurde, hatte dieser nichts mehr mit dem Landtag von 1848 zu tun. Er war rein ständisch organisiert. 

Das Fürstenhaus, das 1848 kurz vor der Einführung der Zivilliste gestanden hatte (und damit vor einem Offenbarungseid) zeigte jetzt deutlich, wer in Schaumburg-Lippe politisch das Sagen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Literatur

Zitierte Literatur

(1) Bethmann, Anke: Revolutionsrezeption und -gestaltung in Schaumburg : politische Öffentlichkeit als Indikator des Demokratisierungsprozesses ; 1789 und 1848: Das Bürgertum betritt die politische Bühne, in: Höing, Hubert (Hg.): Vom Ständestaat zur freiheitlich-demokratischen Republik, 1995, S. 79–105.

(2) Rügge, Nicolas: 1848: die vertagte Revolution in Schaumburg, in: Brüdermann, Stefan (Hg.): Entscheidungsjahre in Schaumburg, Göttingen 2020, S. 37–61.


(3) Lathwesen, Heinrich: Der Schaumburg-Lippische Landtag und seine Abgeordneten, Bückeburg 1974.


Weitere Titel:


Meyer, Stefan: Georg Wilhelm Fürst zu Schaumburg-Lippe (1784 - 1860): absolutistischer Monarch und Großunternehmer an der Schwelle zum Industriezeitalter, Bd. 65, Bielefeld 2007 (Schaumburger Studien).

Poschmann, Brigitte: Politische Strömungen in Schaumburg-Lippe von der 48er Revolution bis zum Ende der Monarchie, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 52, 1981, S. 107–138.

Schneider, Karl Heinz: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse und die Agrarreformen in Schaumburg-Lippe im 18. und 19. Jahrhundert, Bd. 44, Rinteln 1983 (Schaumburger Studien).




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Dienstag, 14. November 2023

Einige Daten zur Geschichte Schaumburgs, insbesondere zur Industrialisierung

 KH Schneider:

Geschichte Schaumburgs und der beiden Nachfolgeterritorien Schaumburg-Lippe und hessische Grafschaft Schaumburg.

Besiedlung und Entstehung der Grafschaft Schaumburg

vor 1100: Billunger üben auch im Gebiet der späteren Grafschaft Schaumburg die Herzogsrechte aus. Aussterben der Billunger 1106 macht den Weg frei für kleinere Herren/Geschlechter.

um 1100 mehrere Obereigentümer: Bischof von Minden, Askanier Theoderich von Werben (Sohn Albrechts des Bären), Edelherr Mirabilis (vom Broke, 1167 +, Schenkung der Besitzungen an die Mindener Kirche), Edelherrn von Arnheim (u.a. Lehnsträger des Theoderich von Werben), sowie seit ca. 1100: erste Erwähnung des Grafen Adolf zu "Scowenburg" zunächst auf das Wesertal beschränkt, im Verlauf des 12. Jahrhunderts Ausgreifen nach Norden, Übernahme der Besitzungen des Edelherrn von Mirabilis (Lehnsherr Mindener Kirche) und der Familie von Arnheim.

Anfang des 13. Jahrhunderts greifen die Schaumburger weiter nach Norden aus Gründung von Stadthagen nach 1220 (etwa zur gleichen Zeit auch von Rinteln im Wesertal). Konkurrenten: Herzöge von Sachsen-Lauenburg (1248 Gründung von Sachsenhagen) und der Grafen von Roden. Bis um 1300 Übernahme der Besitzungen beider Konkurrenten in dem Gebiet bis zum Steinhuder Meer und bis Rodenberg (1317).

Grafenamt: Lehen der sächsischen Herzöge, dagegen die meisten Gebiete (Ämter Schaumburg, Bückeburg, Stadthagen und Sachsenhagen Lehen des Bischofs von Minden; nur Ämter Hagenburg, Bokeloh, Rodenberg und Arensburg Eigengüter). Ab 1565 drei Lehnsherren: Mindener Bischöfe (Bückeburg, Stadthagen, Schaumburg, Sachsenhagen), Landgrafen von Hessen-Kassel (Rodenberg, Hagenburg und Arensburg), Herzöge von Braunschweig (Lauenau, Bokeloh). Ziel: Absicherung des Territoriums, um nicht zwischen den mächtigen Nachbarn zerrieben zu werden.

Unter den schaumburger Grafen ragte besonders Graf Ernst (reg. 1601-1622, seit 1619 persönlicher Fürstentitel) hervor. Wirtschaftliche Unternehmungen (Kohlenbergwerke, Salinen) bilden die Basis für zahlreiche kulturelle, wissenschaftliche und architektonische Unternehmungen. Verlegung der Residenz 1606 von Stadthagen nach Bückeburg, Ausbau des Schlosses, Bau der Stadtkirche gleichzeitig weiterhin Förderung von Stadthagen (Mausoleum). Gründung der Universität Stadthagen-Rinteln. Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse (Amts- und Hausordnung, Land- und Polizeiordnung 1615). Einen Tag nach seinem Tod erreichte der Krieg auch die Grafschaft. Hohe Verluste, 1633 Schlacht von Hess. Oldendorf; Stadthagen allein 40 mal von Truppen eingenommen und geplündert.

1640 Tod des Grafen Otto (V.) Versuche seiner Mutter, Gräfin Elisabeth, die Grafschaft zu retten, scheitern; die Lehnsherren formulieren ihre Ansprüche sofort; Braunschweiger ziehen ihre beiden Ämter sogleich ein. Elisabeth setzt ihren Bruder als Mitregenten ein, der 1644 eine hessische Prinzession heiratet. 1647 schließlich Einigungsvertrag: Teilung der Grafschaft in einen lippischen Teil (Graf Philipp, Lehnsherr: Landgraf von Hessen-Kassel) und einen hessischen (Landgraf von Hessen-Kassel zugleich Graf zu Schaumburg).

Daten zur Entwicklung Schaumburg-Lippes

1647-1681: Regierung des Grafen: Philipp gemeinsame Einrichtungen mit Hessen-Kassel: Stände, Universität in Rinteln, Bergwerk Trennung bei Ständen und Universität Wiederaufbau des vom Krieg verwüsteten Landes.

1681-1728: Graf Friedrich Christian: eigenwillige und autoritäre Politik, familiäre Konflikte (Schei­dung von seiner Frau) Auseinandersetzung mit den Ständen, die auch in der Folgezeit keine politische Bedeutung mehr erlangen können.

1728-1748: Albrecht Wolfgang: bekannt durch Hofhaltung; Kontakte mit Voltaire, keine entscheidenden innenpolitischen Aktivitäten.

1748-1777: Graf Wilhelm, Höhepunkt der Stellung Schaumburg-Lippes in Norddeutschland. Ausgangspunkt seiner Politik: die permanente Drohung Hessen-Kassels, das Land zu übernehmen. Antwort: Aufbau einer leistungsfähigen stehenden Truppe (ab 1751), Bau des Wilhelmsteins (eigtl. der Wilhelms-Inseln), des Wilhelmsteiner Feldes. Ab 1756 in Diensten der Hannoveraner-Engländer, 1762/63 in Portugal. Nach 1765 weitreichende, wenngleich typische innenpolitische Maßnahmen (Förderung des Handwerks, der Landwirtschaft [Dienstabstellungen]), zuletzt, 1775, "Institut zur Verbesserung des Nahrungsstandes".

1787: Nach dem Tod seines Nachfolgers Philipp Ernst Besetzung des Landes durch Hessen-Kassel. Wilhelmstein bleibt unbesetzt, aber Eingreifen Hannovers und Preußens zwingt Hessen zum Rückzug. Danach Regierung der Fürstin Juliane für den unmündigen Georg-Wilhelm.

1807-1860: Fürst Georg Wilhelm. Patriarchalischer Herrscher, zögernde Reformansätze im Inneren zwischen 1808 und 1813 werden nach 1818 nicht fortgeführt, 1831 und 1848/49 ebenfalls kein Durchbruch hinsichtlich innenpolitischer Reformen (Verfassung, Ablösungsgesetzgebung, Steuergesetzgebung usw.). Enge Anlehnung an Hannover (1838 Beitritt zum Steuerverein) zahlt sich auch wirtschaftlich aus, vor allem durch Bau der Bahn Hannover-Minden über Stadthagen/Bückeburg. Allgemeine Krisensituation des Vormärz und der 50er Jahre somit in Schaumburg-Lippe nur sehr abgemildert (etwa eine geringe Auswandererquote).

1866: Land kann Selbständigkeit bewahren, Mitgliedschaft im Norddeutschen Bund.

1871-1918: Land bleibt zwar äußerlich souverän, aber ist weitgehend von enger Zusammenarbeit mit Preußen abhängig jetzt notwendige Modernisierungen (Agrarreformen, ua., 1868 schon Verfassung), Land bleibt finanziell vom Fürstenhaus abhängig. Ab 1890 starke Arbeiterbewegung dank Bergbau und Glasindustrie typische Form des ländlichen Arbeiters.

1918: Novemberrevolution: erst verspätet, Weimarer Zeit von der Dominanz der SPD geprägt, Ansätze zum Anschluß an Preußen scheitern. Ökonomisch/politische Krisensituation am Ende der Weimarer Republik im Vergleich zum Reich abgemildert aber dennoch kritisch, Entlassungen beim Bergbau und der Glasindustrie (Aufgabe des letzten schaumburg-lippischen Werkes 1932).

Grafschaft Schaumburg, hessischen Anteils

1647-1821: Grafschaft bleibt selbständiges Territorium mit eigener Verwaltung in Rinteln. Im 17. Jahrhundert Ausbau Rintelns zur Festungsstadt, im 17./18. Jahrhundert Anlage neuer Siedlungen (Hessendorf, Friedrichshagen, Friedrichsburg, Friedrichswald), Förderung der Landwirtschaft. Universität in Rinteln gelingt kein Durchbruch. Insgesamt ist Grafschaft für Hessen wichtig, da Verbindung zu den nördlichen Exklaven (Uchte, Auburg). Im Gegensatz zu Schaumburg-Lippe Fortbestehen der Stände.

1821-1866: Landkreis Grafschaft Schaumburg der Provinz Niederhessen. Selbständigkeit verloren, komplizierte Verwaltungsgliederung, Schaumburg wird Nebenland. Förderung von Handwerk, Landwirtschaft stagnieren, ungünstige Lage behindert gute Verkehrsanbindung, Vorteile der Weser können kaum genutzt werden; allein das Gebiet um Obernkirchen profitiert von der beginnenden Industrialisierung. Bis 1840 Bevölkerungsanstieg, danach Stagnation und Rückgang, hohe Auswandererquoten in einigen Gebieten der Grafschaften. Es kommt aber nicht, bzw. nur sehr begrenzt zu einer Radikalisierung der Bevölkerung 1848/49.

1866-1932: Landkreis Grafschaft Schaumburg Teil der preußischen Provinz Hessen-Nassau (und nicht Hannovers, dorthin erst 1932). Große Entwicklungsunterschiede: prosperierende Gebiete um Rinteln (Bahnanschluß seit 1875) und Obernkirchen (Glas, Kohle, Steinbrüche) neben unterentwickelten ländlichen Gebieten (Rodenberg, Sachsenhagen).


Statistische Daten zu Schaumburg-Lippe und der Grafschaft Schaumburg

Bevölkerungsentwicklung im 19./20. Jahrhundert

Jahr Gf. Schbg Sch.-L.

Jahr

Gf. Schbg


Sch.-L.


1821/23

30841

100

23124

100

1848/49

36460

118

28840

125

1871

37066

120

33133

143

1905

47187

153

44989

194

1925

48139

156

48020

208

1939

50860

165

53195

230

Auswandererziffern (Amerikaauswanderung) in Schaumburg 1840-1870 absolut und je 10.000 Einwohner/Jahr:

Jahrz.

1840-49

1850-59

1860-69

Gf. Schbg.

644

2028

1346

je10.000 Einw.

18,25

55,2

37,6

Sch.-L.

322

728

577

je 10.000 Einw.

11,5

24,1

18,7

Auswandererzahlen nach Rieckenberg, Auswanderer, eigene Berechnung. Einwohnerwerte: SL: 1842, 1852, 1861: nach L3 Bf 7a-h Gf.:nach Kröger, Statistische Darstellung.


Glashütten in Schaumburg im 19. Jahrhundert

Schauenstein

  • 1799 Gründung der Glashütte Storm in Obernkirchen, 1816 Konkurs,

  • 1822 Kauf der Hütte durch F.A. Becker, 1823 wird Hermann Heye Teilhaber, nach Umbau 1827 Name „Schauenstein”,

  • 1840 trennt sich Becker von Heye und gründet die „Neue Hütte” in Obernkirchen

  • 1870 baut Theodor Heye eine zweite Hütte in Nienburg, denen danach noch weitere folgen werden,

  • 1900 umfangreiche Modernisierung: Umstellung von Hafen- auf Wannenofenbetrieb,

  • 1900/01 Streik der Glasmacher in Obernkirchen (schwerpunktmäßig bei Heye),

  • vor 1914 keine Einführung der Owens-Maschine, nachdem 1901 die halbautomatischen Maschinen von Severin eingeführt wurden,

  • 1914 die größte Glashütte in Schaumburg.

Neuhütte

  • 1842 Bau durch F.A. Becker, bald Beteiligung des Hauses Stoevesandt & Bohlens aus Bremen,

  • 1859 Hermann Stoevesandt wird Alleininhaber

  • 1874 Bau der Hermannshütte in Rinteln, Neuhütte wird allerdings weiter modernisiert

  • Einstellung der Produktion in den 30er Jahren, nachdem nur noch Demjohns hergestellt wurden

Wendthöhe

  • 1817 als erste Hütte in Schaumburg-Lippe gegründet,

  • 1852 Bau einer zweiten Hütte

  • 1856 Verkauf der Hütte an Heye, danach weiterer Ausbau, 1926 Stillegung

Schierbach

  • 1840 durch Tiemann, Rump und Riensch gegründet, 1910 Verkauf an Stoevesandt

Lagershausen und Rump & Riensch/Stadthagen,

  • 1872 durch C. Lange gegründet, 1881 durch Carl Lagershausen übernommen, 1908 Fusion mit der Oldenburgischen Glashütte, 1930 Aufgabe der Produktion

  • 1872 auch Gründung der Fabrik Rump&Riensch, 1913 Ende der Produktion,

Hermannshütte/Rinteln

  • 1874 Bau, Ausbau in den nächsten Jahrzehnten zur modernsten Glashütte in Schaumburg, ab 1886 Umstellung auf den Wannenofenbetrieb,

  • 1909 Einführung der automatischen Glasherstellung mittels der Owens-Maschine;

Die Glasmacher und andere Beschäftigte der Hütten:

  • die Beschäftigten der Glashütten setzten sich aus mehreren Gruppen zusammen:
    den eigentlichen Glasmachern, den weiteren am Glasherstellungsprozeß Beteiligten wie den Motzern (Lehrlinge) und den Einträgern, den qualifizierten sonstigen Arbeitern (Schürer), den Tagelöhnern und den Korbmachern.

  • unter diesen Gruppen nahmen die Glasmacher eine Sonderstellung ein: sie wohnten als einzige in direkter Nähe der Fabriken in Werkswohnungen, sie stammten nicht aus Schaumburg, sondern waren von auswärtigen Glashütten zugezogen und sie besaßen einen ausgeprägten Berufsstolz, der sich auch im langen Streik von 1900/01 bewährte, wenngleich der Streik scheiterte,

  • im Gegensatz zu den Glasmachern lebten die übrigen Beschäftigten in den umliegenden Dörfern, die Korbmacher stammten sogar aus weiter entfernteren Dörfern (wie aus dem Wesertal) und arbeiteten während der Woche auf den Hütten (Schlafhäuser).

Der Schaumburger Bergbau im 19. Jahrhundert

  • entscheidend für den Schaumburger Bergbau waren die geologischen Verhältnisse: der von den Bückebergen in die Schaumburger Mulde einfallende bauwürdige Flöz hatte ein „Mächtigkeit” von ca. 50 cm,

  • in den Bückebergen fand seit dem Mittelalter der Stollenabbau statt, seit dem frühen 19. Jahrhundert ging man bei Nienstädt zum Tiefbau über; je nach Lagerstätte handelte es sich um fettreiche oder um Magerkohle; in den Bückebergen litt der Abbau unter hoher Feuchtigkeit (dünnes Deckgebirge), im Tiefbau gab es Probleme bei der Bewetterung (Grubengase),

  • Besitzverhältnisse: gleiche Anteile des schaumburg-lippischen Fürsten und des hessischen Kurfürsten, seit 1831 tritt an die Stelle des letzteren der kurhessische Staat; seit 1866 der preußische Staat,

  • schon im 18. Jahrhundert weiterer Ausbau des Bergbaues (1757 Wilhelm-Wilhelm-Stollen),

  • um 1800 ca. 120 Bergleute; um 1831 dann 450 Mann, 1860 ca. 900 Bergleute; zunächst stammten sie zu etwa gleichen Teilen aus der Grafschaft Schaumburg und Schaumburg-Lippe, ab der Mitte des Jahrhunderts dann stärker aus Schaumburg-Lippe,

  • Fördermengen: im 18. Jahrhundert ca. 3000 to, Anfang der 40er Jahre ca. 50.000 to, 1856 150.000 to,

  • 1816 Aufnahme der Verkokung auf Osterholz, dort im gleichen Jahr auch erster Tiefbau, ab 1835 nach Einbau der ersten Wassersäulenmaschine wurde der Abbau aufgenommen,
    1854 der zweite Kunstschacht und 1873 der dritte Kunstschacht, Ausbau des Beckedorfer Revieres beginnt, ab Ende des Jahrhunderts dann auch verstärkter Ausbau des Stollenabbaues (1907 Liethstolln), ab 1902 Bau des Georgschachtes (für die F-Sohle),

  • mit Georgschacht wird auch die Weiterverarbeitung der Kohle bzw. von Kohleprodukten (in erster Linie Koks, daneben Teer, Ammoniak) erheblich modernisiert bzw. erst eingeführt,

  • Wirtschaftskrisen 1857 und nach 1873 treffen auch den Schaumburger Bergbau

  • bis Anfang des 20. Jahrhunderts bleibt der Schaumburger Bergbau konkurrenzfähig gegenüber dem Ruhrbergbau als größtem Konkurrenten, danach nimmt der Abstand zu, da dort aufgrund der besseren Abbauverhältnisse eine Mechanisierung des Abbaues einsetzen konnte (Schüttelrutschen, Bohrmaschinen)

  • dagegen bleibt der Abbau in Schaumburg Handarbeit, wird erschwert durch die starke Ausdehnung infolge nur eines bauwürdigen Flözes,

  • durch das schnelle Fortschreiten des Abbaues ist auch schon vor 1914 erkennbar, daß der Georgschacht nur eine begrenzte Zeit Zentrum bleiben kann, im neuen Beckedorfer Schacht wird allerdings erst in den 20er Jahren die Förderung aufgenommen,

  • die Schaumburger Bergleute stammen nicht wie die des Ruhrgebietes von auswärts, sondern sind Einheimische, durch die Ausdehnung des Abbaues von den Bückebergen in die Schaumburger Mulde und an den Nordrand der Bückeberge (Beckedorf) werden von ihm auch neue Dörfer erfaßt,

  • als „bodenständige Grundbesitzer” unterschieden sich die Bergleute von den Glasmachern.

Es wird sich neues Leben, frische Thatkraft, größere Energie und vermehrte Steuerkraft einstellen und damit beweisen, welchen Segen eine Bahn bringt, wenn sie einer Gegend zugeführt wird - wo gute arbeitsame Bevölkerung und gesunde industrielle Verhältnisse schon vorhanden sind.“1

Hier liegt eine Reihe von Ortschaften, die Anfänge einer industriellen Entwicklung zeigen, sie ist bisher nicht zu Entfaltung gekommen, weil die Verkehrsverhältnisse noch zu ungenügend sind.“ 2

Das von der geplanten Bahnlinie beeinflusste Verkehrsgebiet umfaßt etwa 25.000 Einwohner und ist land- und forstwirtschaftlich hoch entwickelt. Daneben sind auch alle Vorbedingungen für eine nutzbringende Ausbeutung und Förderung industrieller Betriebe gegeben...” 3 

Anmerkungen:

1 Aus einem Schreiben Heyes an Oberpräsidenten Graf von Eulenburg in Kassel hinsichtlich einer Bahnverbindung Rinteln-Obernkirchen-Stadthagen vom November 1883 (Tag fehlt) (STAM Best. 150 Nr. 2087).

2 Stellungnahme des Kreisausschusses Rinteln zur Extertalbahn vom 4.5.1909 (STAM Best. 150 Nr. 2067).
3 Erläuterungsbericht vom 17.4.1903 (STAB L 4 3692).

Demokratie in Schaumburg-Lippe

Über die Demokratie wird derzeit viel gesprochen. (Wobei mir immer Bedenken kommen, wenn über eine Sache zu viel geredet wird, die eigentlic...