Mittwoch, 14. April 2021

Mit der Landschaft stirbt das Dorf?

An anderer Stelle habe ich mich anhand schaumbergischer Beispiele sehr kritisch über den Umgang mit der Landschaft geäußert. Ich möchte hier aus historischer Perspektive noch einmal auf diesen Aspekt hinweisen. Gerade durch den Vergleich mit der Landschaft vor 1945 wird deutlich, wie extrem wir unsere Umwelt in nur wenigen Jahrzehnten verändert haben. Die sich für mich daraus auch ergebende Frage ist die, welche Rolle Umwelt- und Landschaftsgeschichte nicht nur allgemein für Regionalgeschichte haben sollten, sondern konkreter für die Zeit nach 1945. Dieser Bereich unserer Geschichte wurde bislang nur kursorisch behandelt, die ältere Geschichte schien spannender, die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte wichtiger (und sie ist wichtig und es gibt da noch einiges zu erforschen). Aber die Zeit nach 1945 bedeutet in vielerlei einen strukturellen Bruch, Christian Pfister und andere sprachen vom 1950er Syndrom. Einerseits wurde in der nun forcierten Landesplanung zunächst auf Konzepte der NS-Zeit zurückgegriffen, andererseits wirkte sich der enorme Wohlstandszuwachs spätestens seit Mitte der 1950er Jahre in allen Lebensbereichen aus. Die heute über 70-jährigen haben diesen tiefen Wechsel noch miterlebt. 

Zu diesen Veränderungen gehört aber auch konzeptionell der wesentlich erhöhte Verbrauch von Land für Wohnbebauung, für Straßen, Sport oder Industrie. Ein wichtiger Faktor dabei dürften die für die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen in den 1950er und 1960er Jahren gebauten Neubausiedlungen gewesen sein, die man heute noch deutlich in den Orten erkennen kann (nicht nur an den Straßennamen). Eine zweite Welle setzte in den 1970er Jahren ein, als das erste Mal Menschen aus der Stadt wieder aufs Land zogen. Aktuell wird wieder stärker darüber diskutiert, wie man den Donut-Effekt verhindern bzw. rückgängig machen kann, der darin bestand, dass die alten Siedlungskerne immer leerer, der Ortsrand aber dicht bebaut wurde. 

Ich möchte nicht mißverstanden werden, mir geht es nicht allein um eine Kritik der aktuellen Entwicklungen, sondern vor allem darum, dass Regionalgeschichte auch die Funktion haben sollte, der Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten, nicht um zu zeigen, dass es "früher" besser war, sondern was sich alles verändert hat, nach den Gründen und den Folgen zu fragen. 


Literatur:

Pfister, Christian; Bär, Peter; Ogi, Adolf: Das 1950er Syndrom, Bern [u.a.] 1995. Inhaltsverzeichnis: <http://www.gbv.de/dms/hbz/toc/ht006580674.pdf>.

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